Aktuelles Katzengesundheit

Extremzuchten: Wie sehr leiden die Tiere?

Schönheitsideale sind Modeerscheinungen – und das nicht nur bei Dauerwellenfrisuren und Piercings. Auch die Katzenzucht unterliegt einem gewissen Trend, in den vergangenen hundert Jahren ging die Mode so von langhaarigen Perserkatzen über hochbeinige Siam bis zu großrahmigen Maine Coon. Doch jedes vergleichbar harmlose Zuchtideal kann bis ins Extreme geführt werden. Ergebnis sind Katzen mit Faltohren, Stummelschwänzen und verkürzten Vorderbeinen, über deren Sinn und Unsinn sich Züchter, Tierschützer und Genetiker streiten. Wie sehr leiden die Tiere wirklich, welche Rolle spielt der Gesetzgeber?

Der Paragraph 11 b des Tierschutzgesetzes regelt die Definition des Begriffes „Qualzucht“: „Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, den bio- oder gentechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten“, lautet es im Gesetzestext. Ebenso ist es verboten, Wirbeltiere zu züchten, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei Nachkommen mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten. Das Verbot gilt auch, wenn die Haltung dieser Tiere nur unter Bedingungen möglich ist, die bei ihnen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen kann. Alle Theorie ist grau – aus diesem Grund beschäftigte sich ein Gutachten verschiedener Experten zur Auslegung des genannten Paragraphen aus dem Jahre 1999 konkreter mit dem Thema. Das Ergebnis: Ein 148 Seiten starkes Dokument, das nicht nur einzelne Zuchtformen bei Hund und Katze nach ihren Auswirkungen auf die Tiergesundheit beurteilt, sondern auch Kaninchen und Vögel nicht außen vor lässt. Im Fokus des Gutachtens stehen unter anderem die Züchtung haarloser Katzen, nach vorne oder hinten abgeknickte Ohrmuscheln, Kurzschwänzigkeit und Schwanzlosigkeit, Taubheit aufgrund von Weißzucht, Zwergenwuchs und Brachyzephalie („brachis“ = kurz und „cephalus“ = Kopf), eine Abweichungen der Kopfform zum Beispiel als Folge einer angezüchteten Stupsnase bei Perserkatzen. Die allgemeine Empfehlung des Sachverständigenrates ist hier eindeutig: „Zuchtverbote werden empfohlen für Tiere, die Träger von Genen bzw. eindeutig bedingten Merkmalen sind, welche für den Züchter direkt erkennbar oder diagnostisch zugänglich (Anmerkung der Redaktion: Dazu gehören Erbkrankheiten wie Hüftdysplasie, HCM oder PKD) sind und bei der Nachzucht zu mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbundenen Merkmalen führen können.“ Dazu gehören schwanzlose Manx-Katzen genauso wie Perserkatzen mit einem verkürzten Schädel und einer kurzen Nase.

Es ist kein Wunder, dass eine entsprechende deutschlandweite Verordnung in Form eines eindeutigen Zuchtverbotes bis heute fehlt: Der Europarat in Strassburg arbeitete im Europäischen Übereinkommen von 1987 zum Schutz von Heimtieren eine allgemeine Regelung betreffend tierzüchterische Änderungen von Heimtieren aus (Council of Europe, 1987; Artikel 5). Klare Regelungen und Richtlinien zum Vollzug fehlen aber auch hier.

Lediglich Hessen ist neben Rheinland-Pfalz eines der einzigen zwei Bundesländer, das konkrete Vollzugshinweise zur Qualzucht herausgegeben hat. Das Dokument zur Umsetzung des Paragraphen 11b des Tierschutzgesetzes nennt bestimmte Eigenschaften bei Geflügel, Ziervögeln, Kaninchen, Haushunden und Katzen, die dem Zuchtverbot unterliegen. Dazu gehören Kurzschwänzigkeit und Schwanzlosigkeit wie bei der Manx-Katze, Kipp- und Faltohr wie bei der Scottish Fold, Haarveränderungen mit einhergehenden Sinneseinschränkungen wie bei der Rex und Kurzköpfigkeit bei Einzeltieren der Rassen Perser und Exotic Shorthair. Die in der Liste aufgenommenen Katzenrassen und Einzeltiere mit extremer Merkmalsausprägung unterliegen einem Zuchtverbot. „Nach dem geltenden Paragraphen 11b besteht leider kein Ausstellungsverbot“, erklärt Tierärztin Dr. Madeleine Martin, Landestierschutzbeauftragte des Bundeslandes Hessen. „Insoweit sind auch nicht die Halter der Tiere betroffen, was leider dazu führt, dass der Markt weiterbesteht. Ein Ausstellungsverbot wird dies aber sicher ändern. Dies soll bei der anstehenden Novellierung des Tierschutzgesetzes aufgenommen werden.“ Bei Zuwiderhandlungen gegen das Zuchtverbot können aktuell sowohl die Unfruchtbarmachung der Zuchttiere wie ein Bußgeld erlassen werden. Dr. Martin ist sich durchaus bewusst, dass die aktuelle Form des Paragraphen 11b den Vollzug schwierig macht und hofft auf eine Novellierung des Tierschutzgesetzes, wie im Dezember 2011 von Bundesministerin Ilse Aigner angekündigt.
Gesundheit geht vor?
Tierärztin Karola Grashof ist seit über dreißig Jahren im Tierschutz tätig. Dort und in ihrer Praxis in Wolfenbüttel konnte sie vielfältige Erfahrung mit Extremrassen wie Perser, Exotic Shorthair und Scottish Fold machen. „Bei den kurznasigen Katzenrassen sind es vor allem die Probleme mit Nase und Rachen, die Probleme bereiten. Hier ist keine uneingeschränkte Luftzufuhr gegeben“, berichtet sie. Ausdauerndes Spielen wird so zum Teil unmöglich, durch die reduzierte Kaumuskulatur und eine Fehlstellung des Kiefers seien viele dieser Tiere auch bei der Futteraufnahme eingeschränkt: Die Zahnstellung ermögliche keine Aufnahme von kleinen Futterbrocken sowie ein ausreichendes Zermalmen des Futters. Nahezu grausam wirken seitliche Röntgenaufnahmen des Schädels, da die Deformation der Knochen die Einschränkungen bei der Atmung und die Augenproblematik sehr verdeutlichen. „Die vorstehenden Augen sind extrem verletzungsanfällig, die langen Haare gelangen direkt in die Augen und verletzen die Hornhaut, die verlegten Tränennasenkanäle verursachen Hautveränderungen um Augen und Nase“, erklärt Karola Grashof. „Ohne mehrmals tägliche Pflege dieser Bereiche kommt es zu massiven Entzündungen der Haut, welche schmerzhaft sind und Juckreiz verursachen.“ Auch das Fehlen einer regelmäßigen und konsequenten Fellpflege sei ein häufiges Problem. „Ich habe diverse Perser in meiner Praxis, welche unter Sedation gekämmt oder gar geschoren werden müssen, weil die Haut unter diesen Filzstellen exzematös verändert ist.“

Derartige Beispiele zeigen, dass die ursprüngliche Form von Schwanz, Kiefer und Ohren der Katze mehr sind als nur ein Schönheitsideal. Viele herausgezüchtete Merkmale führen so auch zu gesundheitlichen Einschränkungen. Der Schwanz beispielsweise dient neben der Kommunikation zum Ausbalancieren des Körpers bei Sprüngen und Stürzen, er ist wichtiger Teil der extrem beweglichen Wirbelsäule der Katze. Fehlt er, ist der natürliche Bewegungsablauf gestört. Fehlbelastungen von Gelenken und Hüfte sind vorprogrammiert.
Die Manx
Trotz der genannten Risiken hat sich Andrea Grumet aus der Nähe von Wien in die Manx, eine Katzenrasse ohne oder mit verkürztem Schwanz, verliebt. „Damals hat mich das teddybärenhafte Aussehen fasziniert. Nachdem unsere letzte Hauskatze starb, machten wir uns intensiv auf die Suche nach dieser Rasse.“ Fast zwei Jahre dauerte es, bis die erste Manx-Katze, eine Engländerin in black smoke, einziehen konnte. Andrea Grumet ist mit ihrer „Cattery of Dreamwalker“ eine der wenigen Züchter von Manx-Cymric-Katzen im deutschsprachigen Raum. Vorurteile gegen die Katzen mit den Stummelschwänzen sind ihrer Meinung nach vor allem durch Unwissenheit und den geläufigen Bild einer Katze anzulasten. „Wenn wir eine Katze streicheln, geht es immer bis zur Schwanzspitze und das sitzt in unseren Köpfen, alles andere ist für uns ungewöhnlich und gilt als nicht normal“, erklärt sie. Kaum jemand denke daran, dass es in der Natur mehrere Katzen mit sehr kurzen Schwänzen wie den Luchs gibt. Probleme bei der Kommunikation zwischen Artgenossen sieht sie nicht: „Es gibt viele Ausdrucksmöglichkeiten, welche zur Verfügung stehen. Die Barthaare, Augen, Behaarung und die Körpersprache selbst, all das wird verwendet.“ Andrea Grumet weist im Gespräch auf Tierversuche mit Manx-Katzen Anfang des Jahrhunderts zum „Spina bifida Syndrom“ hin. „Im Endstadium dieser Versuchsreihe war jedoch die Sterblichkeit extrem hoch, falls die Frucht nicht schon im Mutterleib abgestorben war. Man sah schwanzlose Tiere mit offenen Rücken, deformierten Hüften und missgebildeten Organen. Somit galt die schwanzlose Katze als armes, gequältes Tier.“

Eine unabhängige Studie von M. E. DeForest und P. K. Basrur aus dem Jahr 1979 weist nach, dass das Gen „M“, verantwortlich für den kurzen Schwanz bei Manx-Katzen, neben allgemeinen Wirbelsäulenmissbildungen und hieraus entstehenden neurologischen Schäden auch für einen frühembryonalen Tod verantwortlich ist: Reinerbige Tiere, die zwei Gene des Typs M und somit den Genotyp MM aufweisen, sind nicht lebensfähig, sie sterben aufgrund eines Neuralrohrdefektes, einer Fehlbildung des Embryos, bei der sich wesentliche Teile des Gehirns, der Hirnhäute, Schädelknochen und Haut nicht entwickeln, schon im Mutterleib. Doch auch die mischerbigen überlebenden Tiere weisen vielfältige Probleme auf: Die Fehlentwicklung des Rückenmarks führte hier in einem Großteil der Fällen zu einer Degeneration der Nervenzellen und somit zu Störungen der Ausscheidungsorgane. Viele der untersuchten Katzen waren inkontinent.
Darüber, dass das Gen M tatsächlich für den kurzen Schwanz und in reinerbiger Form für den Tod der Tiere verantwortlich ist, ist sich auch Andrea Grumet bewusst. „Es wäre eine Lüge, etwas anderes zu behaupten!“ Andrea Grumet besuchte Vorlesungen an der tierärztlichen Uni in Wien, um Grundlagen zu Katzengenetik und –Krankheiten zu lernen. „Ein Züchter dieser Rasse sollte sich mit der Genetik seiner Tiere auseinandersetzen, denn so kann man solche Missbildungen am besten verhindern. Ich verpaare immer verschiedene Schwanzlängen miteinander, somit minimiere ich das Risiko einer Deformation.“ Eine Garantie gäbe es aber nie – auch zwei völlig gesunde Lebewesen könnten behinderten Nachwuchs zeugen. Die Manx zeichnet ihrer Meinung nach sehr viel mehr aus als das Fehlen des Schwanzes. „Sie sind besonders liebevoll, sie lieben Kinder und kommen gut mit anderen vierbeinigen Hausbewohnern aus. Für mich strahlen sie eine besondere Ruhe aus, die gerade in der heutigen hektischen Zeit sehr willkommen ist.“
Für den Sachverständigenrat zur Auslegung von §11b überwiegen die negativen Seiten der Manx-Zucht. Er empfiehlt ein völliges Verbot der Verpaarung einer Manx mit anderen Katzen.
Faltohr-Schotten: Die Scottish Fold
Ihre gefalteten Ohren geben ihr das Aussehen eines Teddybärs und haben der Scottish Fold seit der Geburt einer schneeweißen Bauernhofkatze im Jahr 1961 in Schottland viele Fans gebracht. Doch die Knickohren sind nicht ohne Gefahr: Sie werden durch ein Gen vererbt, dass bei einer reinerbigen Katze mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem genetischen Defekt in der Entwicklung der Wachstumszone der Knochen und somit zu Gelenkdeformationen führt. Um das Risiko zu vermindern, wird von den Zuchtverbänden wie der TICA nur die Kreuzung von Scottish Fold mit Faltohr und British Kurz- oder Langhaar erlaubt. „Bei der Zucht auf Kippohren muss immer damit gerechnet werden, dass auch bei einem Teil der heterozygoten Nachzucht Knorpel- und Knochenschäden auftreten, die zu dauerhaften Schmerzen, Leiden und Schäden führen“, so die Gutachter des Qualzuchtparagraphen. Im Bundesland Hessen gibt es sogar eine rechtskräftige Verfügung gegen die Zucht von Kippohrkatzen. Ein Urteil, das viele Züchter und Liebhaber der Scottish Fold erbost. „Diese Gutachter sollten sich mit Züchtern zusammentun und die alten Vorurteile überarbeiten“, sagt beispielsweise das Ehepaar Jung, das seit 2006 Scottish Fold, Highland Fold und British Kurzhaar unter dem Zwingernamen „Willy‘s Bärenbande“ züchtet. „Ich finde, dass Erklärung der Experten nicht mehr auf dem neuesten Stand ist. Viele Dinge konnten bereits widerlegt werden“, erklärt Manuela Jung auf weitere Nachfrage. Sie und viele andere Züchter beziehen sich auf eine Literaturstudie des Paragraphen 11b des Tierschutzgesetzes von Dr. Margarete Klotz aus dem Jahre 2001, die die bisher nicht vorliegende Klärung des genauen Vererbungsgangs der Scottish Fold kritisiert. Klotz fordert ein durchgehendes DNA-Screening zur Identifizierung genetischer Störungen bei Katzen und einer entsprechenden Kontrolle der Zucht.
Die Vorurteile gegenüber der Scottish Fold lastet sie vor allem den anfänglichen undurchdachten Zuchtmethoden der 60er Jahre an: „…so wurde Inzucht praktiziert und mit blauäugigen weißen Katzen gearbeitet. Das führte in Einzelfällen zu tauben Katzen und später auch zu Skelettanomalien an Hinterbeinen und Schwanz“, heißt es hier. Durch die Häufung dieser Anomalien schloss die British Cat Fancy 1971 das Zuchtbuch für Scottish Fold. In ihrer Literaturstudie bezweifelt Dr. Klotz das Vorliegen einer genetischen Präposition für Knorpel- und Knochenschäden. Das Verbot der Kreuzung von Scottish Fold mit Scottish Fold beruht auf einer australischen Doktorarbeit aus dem Jahr 1975 und seie ihrer Meinung nach mittlerweile überholt. Allerdings spricht auch eine Veröffentlichung im Australian Vet Journal aus dem Jahr 1999 von einer Fehlentwicklung von Knorpel und Knochen, die in jeder Scottish Fold Katze zu einem bestimmten Maße auftritt. Diese Studie fußt vor allem auf die Untersuchung von Röntgenbildern – eine genetische Analyse bietet auch sie nicht. Zu bedenken gilt, dass es sich bei Dr. Klotz‘ Studie nur um eine Literaturstudie handelt und nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung.
Doch wie sehen es die Züchter? „Was die angeblichen Krankheiten der Scottisch Fold angeht, kann ich nur sagen, dass es die wahrscheinlich gibt, genau wie bei anderen Rassen auch“, sagt Züchterin Jung. „Ich hatte noch nie damit Probleme.“ Das gleiche gelte für eventuelle Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund der Knickohren. Auch Tierärztin Karola Grashof berichtet, dass es beim Zusammensetzen von Schotten und anderen Katzen nur sehr kurzfristig zu Kommunikationsproblemen komme: „Meine restlichen Katzen benötigen nur geringfügig länger, um die Neulinge zu verstehen. Dauerhaft gab es diesbezüglich dann keine weiteren Probleme.“
Der Sachverständigenrat des Qualzuchtparagraphen empfiehlt dennoch auch bei der Scottish Fold ein Zuchtverbot.
Die Munchkin
Die „Munchkin“ Katze wurde nach einem Land in der Erzählung „Der Zauberer von Oz“ benannt. Die ansonsten normal entwickelten Tiere mit den Stummelbeinen muten wie eine Karikatur einer Katze an – doch sie sind es nicht: Eine Verkürzung der Röhrenknochen führt bei der Munchkin zum Zwergenwuchs. Das Gutachten zum Paragraphen 11b nimmt auch die Munchkin ins Visier und benennt Wirbelsäulenprobleme. Tatsächlich ist die so genannte „Lordose“, eine abnormale konvexe Krümmung der Wirbelsäule, als Folge von Kurzbeinigkeit bekannt. In extremen Fällen schränkt der Brustkorb die Organe der heranwachsenden Katze ein, was zum Tod im Alter von etwa acht bis zwölf Wochen führen kann.
Es ist aktuell noch nicht sicher, wie genau das Kurzbein-Gen vererbt wird und ob es sich eventuell sogar um eine Vererbung über mehrere Gene handelt. Man vermutet einen dominanten Erbgang: Alle Träger der entsprechenden Gene weisen die namensgebenden kurzen Beine auf. Was bei der Munchkin erschwerend hinzukommt ist die erhöhte Gefahr von Fehlgeburten: Embryonen, die das Kurzbein-Gen von Vater und Mutter geerbt haben, also einen „homozygoten“ Gentyp aufweisen, sind nicht lebensfähig und sterben schon im Mutterleib ab. Bei einer klassischen Verpaarung zweier Munchkin wird der Wurf so immer aus kurzbeinigen Tieren, die Träger von nur einem Kurzbein-Gen sind, langbeinigen Tieren ohne das entsprechende Gen sowie reinerbigen Embryonen, die frühzeitig absterben, geben.
Diese Gefahr hat dazu geführt, dass sich kaum Munchkin-Züchter im deutschsprachigen Raum finden lassen. Munchkin-Katzen gibt es dennoch, was den Verdacht von Schwarzzuchten nahelegt. Im englischsprachigen Raum ist die Zucht der Zwergenkatzen dennoch verbreitet. Die Gefahr von Totgeburten wird hier teilweise sehr pragmatisch gesehen. „Ist es sicher, zwei kurzbeinige Munchkin-Katzen zu verpaaren?”, lautet es auf der Homepage einer amerikanischen Züchterin. Die Antwort: „Ja. Einige Kitten werden zwei Gene für Zwergenwuchs von ihren Eltern erhalten. Diese Katzen sterben schon im Mutterleib ab, es besteht also keine Gefahr für die anderen Tiere.“

Im Falle der Munchkin lautet das Urteil der Sachverständigenrat des Gutachtens zur Auslegung des Qualzuchtparagraphen wie folgt: „Durch die verkürzten Gliedmaßen sind die Körperproportionen so verändert, dass die Tiere in ihren artspezifischen Bewegungsabläufen eingeschränkt sind. Mit weiteren Schäden wie Bandscheibenveränderungen muss gerechnet werden.“ Die Empfehlung: Ein Verzicht auf Weiterzucht mit Merkmalsträgern sowie das Führen von Zuchtbüchern zum Zwecke einer weiteren Überprüfung, in wieweit die Merkmale Leid für die einzelne Katze hervorrufen. Gegebenenfalls solle ein Zuchtverbot in Erwägung gezogen werden.

Reine Auslegungssache?
Die Argumentation vieler Liebhaber extremer Rassen scheint auf den ersten Blick schlüssig: Mutationen wie die kurzbeinige Munchkin seien eine spontan auftretende Mutation und keine Folge einer extremen Zucht, heißt es oft. „Eine Munchkin ist das Ergebnis einer Laune der Natur und nicht wie oftmals vermutet eine durch Menschen gezüchtete Varietät“ lautet so ein gerne zitierter Standpunkt vieler Munchkin-Rasseprofile. „Die Natur wollte es so“ – diese Aussage erhält man auch im Gespräch mit vielen seriösen Züchtern, die sich für die Gesunderhaltung ihrer Rasse einsetzen und für stärkere Kontrollen kämpfen. Die Meinung nach dem Sinn des Qualzuchtparagraphen und dem entsprechenden Gutachten ist hier eindeutig: „Der Mensch sollte sich nicht darüber erheben, welche Rasse leben darf und welche nicht“, sagen auch die Scottish-Fold-Züchter Jung. Manx-Züchterin Grumet ist ähnlicher Meinung: „Die Manx ist eine Naturrasse. Missbildungen kommen bei jeder Rasse vor, auch beim Menschen, so dürfte ein Tauber, Blinder, Gelähmter oder deformierter Mensch niemals Nachwuchs bekommen. Nur zum Nachdenken: Sind diese Kinder auch gequälte Wesen?“
Was dabei gerne vergessen wird: Genetische Mutationen bei Rassekatzen sind nie menschengemacht. Die Natur ist kein von Vernunft geleitetes Wesen, dessen Entscheidungen wohl durchdacht sind. Davon zeugt ein einfaches Prinzip der Evolutionstheorie: Spontan auftretende Mutationen, die sich als nicht praktikabel erweisen, setzen durch den Selektionsdruck nicht im Genpool der jeweiligen Art durch. Sie verschwinden langsam aber sicher. Die Domestikation der Katze durch den Menschen hat einiges verändert: Merkmale, die in der freien Natur nicht überleben würden oder der einzelnen Katze keinen erhabenen Vorteil anderen Artgenossen gegenüber geben, können durch gezielte Verpaarung weitergezüchtet werden. Erst die gezielte Weiterzucht mit einer derartigen spontanen Mutation mit einer weiteren Verstärkung des einzelnen Merkmals macht die Rasse zu einer Extremrasse. Egal, ob Laune der Natur oder Designerkatze, die Folgen für die Katze sind die gleichen. Das kann so weit gehen, dass dem Tieren ganze Sinnesorgane fehlen: „Das Fehlen oder die fehlende Funktionsfähigkeit von Tasthaaren bedeutet den Verlust eines Sinnesorgans, das für die Orientierung, der Prüfung von Objekten und der Aufnahme sozialer Kontakte wichtig ist“, heißt es so im Erlass zur Umsetzung des § 11 b Tierschutzgesetz in Hessen über Rex- oder und Sphynxkatzen, bei denen die Tasthaare fehlen oder in ihrer Funktion beeinträchtigt sind. „Damit liegt ein züchterisch bedingter Schaden im Sinne des § 11b TSchG vor. Mit den betroffenen Einzeltieren darf nicht gezüchtet werden.“
Zuchtziele müssen aber nicht unbedingt zum Nachteil der einzelnen Katze werden – das weiße Fell alleine sorgt nicht für Taubheit und für jeden Tierschützer, der von Kommunikationsproblemen einer Faltohrkatze überzeugt ist, gibt es einen Züchter, der vom Gegenteil berichtet. Auch Tierärztin Karola Grashof sieht das Problem des Zuchtverbotes etwas differenzierter. „Das völlige Verbot von Extremrassen wird wahrscheinlich die einzige Möglichkeit sein, eine Kontrolle über Qualzuchten auszuüben, auch wenn es mir sehr leid tun würde, keine Perser und andere betroffene Rassen mehr zu sehen. Eine Perser mit Nase und auch eine Scottish Fold mit ihrem sonnigen Wesen würden schon fehlen.“ Sie sieht die Verantwortung vor allem auf Seiten der Züchter: „Dabei sind eigentlich die seriösen Züchter diesbezüglich nicht das Problem, sondern vielmehr die diversen „Nachzüchter“, die einfach irgendwie verpaaren und an jedermann abgeben. Hauptsache das Geld stimmt.“

So bleibt auch der Qualzuchtparagraph des Tierschutzgesetzes reine Auslegungssache. Dass es bisher noch keinen eindeutigen, deutschland- oder gar europaweiten Gesetzesentschluss gibt, verwundert nicht.

Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen)

Tierschutzbund: Qualzucht bei Heimtieren

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MK

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