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Qualzuchtparagraph in Anwendung: Berlinerin darf keine Canadian Sphynx mehr zĂĽchten

Leider war der „Qualzuchtparagraph“ des Tierschutzgesetzes bisher vor allem Auslegungssache. Das Berliner Verwaltungsgericht hat den §11b am 24. September 2015 endlich zur Anwendung gebracht: Einer Züchterin aus Spandau wurde untersagt, weiterhin Canadian Sphynx ohne Tasthaare zu züchten. „Willi“, der Kater der Züchterin, soll nun laut Gerichtsentscheid kastriert werden.

Keine einfache Aufgabe für Verwaltungsrichter Christian Oestmann und seine Kollegen und juristisches Neuland. Dürfen Sie einer Berliner Züchterin verbieten, Canadian Sphynx zu züchten? Zur Beurteilung, ob den Katzen durch das Fehlen von Körper- und Tasthaaren Leiden zugefügt wird, zogen Sie einen Tierarzt als Gutachter zu Rate. Dieser entschied eindeutig: Tasthaare seien essentiell zur Orientierung der Katze. Dieser Einschätzung schlossen sich die Richter trotz mehrfacher Proteste der Züchterin an: „Die Zucht von Nacktkatzen ohne funktionsfähige Tasthaare ist als Qualzucht anzusehen und verstößt daher gegen das Tierschutzgesetz.“ Allerdings ließ das Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu.

Nach dem sogenannten „Qualzuchtparagraphen“ im Tierschutzgesetz ist es untersagt, Wirbeltiere zu züchten, wenn ihnen Körperteile für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder diese untauglich sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten. Zum Vollzug kam es allerdings nie – daher wurde er im Zuge der Novellierung des Tierschutzgesetzes in 2013 neu formuliert. Das Berliner Urteil ist das erste, das den Qualzuchtparagraphen konkret anwandte.

„Das gestrige Urteil ist ein sehr erfreuliches Signal für den Tierschutz“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Es darf nicht sein, dass ein vom Menschen gefördertes Rassebild zur Folge hat, dass mit Tieren gezüchtet wird, deren Aussehen einem Gendefekt zugrunde liegt, der ihnen gesundheitlich nicht förderlich ist.“ Auch Madeleine Martin, die Landesbeauftragte für Tierschutz in Hessen, begrüßt das Urteil. „Dies ist ein Sieg des Tierschutzes über private Züchterinteressen!“

„Leider zeigen sich bis heute viele Zuchtverbände und Züchter immer noch sehr uneinsichtig!“, so die Landestierschutzbeauftragte des Land Hessen in einer Pressemitteilung vom 25. September 2015. Sie appelliert nun an sämtliche Vollzugsbehörden in Deutschland endlich den § 11 b des Tierschutzgesetzes entsprechend den lange vorliegenden Gutachten und wissenschaftlichen Arbeiten anzuwenden und die notwendigen Zuchtverbote zu erlassen. „Hunde, die zuchtbedingt nicht schmerzfrei laufen, Katzen, die kaum atmen können, Rassegeflügel mit Hirnschäden oder Ziervögel mit Knochendeformationen – alles erschaffen aus absurden Schönheitsidealen verantwortungsloser Züchter – das muss jetzt endlich der Vergangenheit angehören“, so Martin. Und sie geht noch weiter: „Wir brauchen endlich auch ein vollziehbares Gutachten zu Qualzuchten bei Tieren in der Landwirtschaft!“

Pfotenhieb hatte das Thema Extremzucht schon im März-Bookazin 2012 unter die Lupe genommen (hier geht es zum Artikel)

Quellen:
Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtes Berlin
Presseinformation der Landestierschutzbeauftragten Hessen
Pressemeldung des deutschen Tierschutzbundes
Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen)
Tierschutzbund: Qualzucht bei Heimtieren

Zum Weiterlesen:
Extremzuchten – wie sehr leiden die Tiere?

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MK

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